Mehrsprachigkeit als Chance – Eine Tagungsreihe über Konzepte zur Internationalisierung der Lehrerbildung und zur Förderung der Mehrsprachigkeit bei Kindern und Jugendlichen
Zahlreiche Konzepte und Modelle der Mehrsprachigkeitsdidaktik werden in Europa erprobt, reflektiert und wissenschaftlich analysiert. In der Regel wird Mehrsprachigkeit vornehmlich als berufliche Notwendigkeit gesehen. Nur selten wird die gelebte Mehrsprachigkeit von Menschen in mehrsprachigen Regionen oder mehrsprachigen Lebenswelten thematisiert. Die Tagungsreihe „Mehrsprachigkeit als Chance“ versteht sich als ein Versuch, die positiven Potentiale dieser Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit in den beteiligten Bildungseinrichtungen systematisch zu nutzen.
Gegenstand des ersten Workshops mit dem Titel „Mehrsprachigkeit als Chance“, der im Mai 2009 an der Universität Kassel stattfand, waren Ansätze zum Umgang mit Mehrsprachigkeit aus Finnland, Belgien, Polen und Deutschland. Eine Besonderheit war dabei die Teilnahme von Studierenden, nicht nur als Zuhörer bei Dozentenvorträgen, sondern auch als Präsentierende. Dieser Workshop gab den Studierenden aus Kassel und Polen sowie den Dozenten aus den anderen beteiligten Hochschulen die Gelegenheit, mehrsprachige Partnerregionen im Ausland kennen zu lernen. Obwohl der Workshop zunächst als einmalige Veranstaltung konzipiert war, blieben die beteiligten Hochschulen weiter in Kontakt und verständigten sich in der Folge kontinuierlich über ihre Arbeitsergebnisse und Vorhaben. Die internationale Konferenz mit dem Titel „Deutsch-Landschaften einer Sprache“, die im Jahr 2010 in der polnischen Stadt Nysa/Neiße stattfand, begriff sich selbst als eine Fortsetzung des Kasseler Diskurses. Sie war gekennzeichnet durch ein großes Informationsangebot zur Lage des Deutschunterrichts in der zweisprachigen Region Wroclaw/Breslau-Nysa/Neiße und in anderen zweisprachigen Regionen Europas. Im Mittelpunkt standen Konzepte für Sprachunterricht in der Minderheitensituation und bi-kulturelle Angebote in Sprachenstudiengängen. Ein besonderes Erlebnis war der von Studierenden geleitete literarische Stadtrundgang, in dem die literarische Tradition Schlesiens am Beispiel von Joseph von Eichendorff und Max Herrmann-Neiße thematisiert wurde.
In der dritten Tagung zur „Mehrsprachigkeit als Chance“, die im Mai 2011 in Eupen/Belgien an der Autonomen Hochschule in der Deutschsprachigen Gemeinschaft stattfand, ging es explizit um den Unterricht für Deutsch als Zweitsprache und als Minderheitensprache in Schule und Hochschule. Das selbst gesetzte Ziel dieser Tagung war es, Studierenden und Praktikern in Schule und Hochschule einen konzentrierten Gedanken- und Materialaustausch zu entsprechenden Konzepten – auch und vor allem im Hinblick auf junge Menschen mit Migrationshintergrund – zu ermöglichen.
Kolleginnen und Kollegen aus Hochschulen in Deutschland, Polen, Luxemburg, Finnland, Italien und aus der Schweiz berichteten, welche unterschiedlichen Programme in vorschulischen Einrichtungen, Schulen und Hochschulen in ihren Ländern und Regionen für den Umgang mit Sprache für Minderheiten erarbeitet wurden. Eine Besonderheit dieser Tagung war die Teilnahme von Bildungsverantwortlichen aus der Region Ostbelgien.
Eine neue Dimension erreichte die Tagungsserie im Jahr 2012 an der Université du Luxembourg in Walferdange. Den Teilnehmern konnten in drei Tagen nicht nur eine Exkursion zu einem bilingualen Gymnasium in der deutsch-luxemburgischen Grenzregion, sondern auch in mehreren parallelen Workshops eine Vielzahl von Vorträgen angeboten werden. So erfuhr man viel über die luxemburgische Sprachenpolitik, die vorsieht, dass alle Kinder nicht nur Luxemburgisch und Deutsch lernen, sondern auch Französisch, ab der Sekundarschule zusätzlich Englisch und gegebenenfalls weitere Fremdsprachen wie Italienisch, Spanisch oder Latein. Es zeigte sich jedoch auch, dass für den sehr hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, der sich zunehmend diversifiziert, neue Ideen gefragt sind, die in großer Zahl von über vierzig Referentinnen und Referenten in drei Sprachen dargestellt wurden.
Im Mai 2013 fand die Tagungsserie „Mehrsprachigkeit als Chance“ an der pädagogischen Hochschule in Heidelberg statt. In dieser ebenfalls dreisprachig durchgeführten Tagung bildeten das Fremdsprachenlernen und der bilinguale Unterricht Schwerpunkte. Thematisiert wurden unter anderem Erfahrungen mit sprachlich heterogenen Lerngruppen und Ansätze zur frühen Mehrsprachigkeit in Vor- bzw. Grundschulen. Die Tagung bot Studierenden, Forschenden und Praktikern in Schule, Hochschule und weiteren Bildungseinrichtungen eine länderübergreifende Plattform für den Dialog über Forschungsaktivitäten und -projekte zum Thema Mehrsprachigkeit.
Die sechste Tagung, fand im Juni 2015 wieder in Nysa/Neiße in Polen statt. Im Vorfeld ist es gelungen, ein Konsortium aus Hochschulen und Bildungseinrichtungen in Belgien, Deutschland, Luxemburg, Österreich, Polen und der Schweiz zu bilden und perspektivische Verabredungen zu Schwerpunktthemen zu treffen. Im Zentrum der Tagung standen Bildungskonzepte für gelebte Mehrsprachigkeit und die Entwicklung persönlicher Identität. Der Tagungsband ist Anfang 2016 im Leipziger Universitätsverlag erschienen.
Während der siebten Tagung, die im Juli 2017 in Kassel stattfand, haben sich in 8 Sektionen über 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit praktischen Beispielen, wissenschaftlichen Forschungen und sprachenpolitischen Konzepten in der Mehrsprachigkeitslandschaft Europas beschäftigt. Eine Besonderheit war die Teilnahme von Studierenden aus Ländern wie Brasilien, Polen und China, die im Rahmen ihres Studiums von Deutsch als Fremdsprache die Tagung als Ringvorlesung nutzten.
Längerfristiges Ziel des Konsortiums, das die Tagungsreihe ausrichtet, ist es, die Bildungslandschaft Europas zu „ kartographieren“ und einen dynamischen „Atlas der Mehrsprachigkeit“ zu erstellen. Ein solches Vorhaben kann allerdings nicht mit einer einzigen Tagung erreicht werden. Der Dokumentationsband (erschienen 2018 im Leipziger Universitätsverlag) der Kasseler Tagung kann jedoch als Grundstein des Vorhabens verstanden werden.
Die achte Tagung konnte – nach mehrmaligem Verschieben – vom 8. bis zum 10. September 2021 in Klagenfurt unter strengen Coronaregeln stattfinden.
Die Tagung stand unter dem Motto „Mehrsprachigkeit – Identität und Bildung“. Das übergeordnete Ziel der Tagung bestand darin, Bildungsbeauftragte durch einen themenfokussierten und internationalen Diskurs für Mehrsprachigkeit, Identität und Bildung zu sensibilisieren. Die aus der Tagung gewonnenen Erkenntnisse werden in Bildungskonzepte für zwei- oder mehrsprachige Lebenswelten junger Menschen einfließen.
Ein Tagungsband wird in Kürze im Leipziger Universitätsverlag erscheinen. Einzelheiten und Fotos auf der Seite der PH Klagenfurt Pädagogische Hochschule Kärnten: Mediencorner (ph-kaernten.ac.at)
Die 9. Tagung der Reihe findet in Polen statt und zwar, wie bereits im Jahre 2015, an der Staatlichen Hochschule in Nysa. Die Stadt Nysa liegt an der Grenze von Oberschlesien und Niederschlesien, nicht weit der Grenze zu der Tschechischen Republik, in einer Region, in der viele Sprachen gesprochen wurden und gesprochen werden. Eine ganz besondere Rolle spielen hier die Dialekte der deutschen und der polnischen Sprache. Die Staatliche Hochschule in Nysa ist die einzige Hochschule in Polen, die neben einer Ausbildung für angehende DaF-Lehrkräfte, auch Lehrkräfte für Deutsch als Muttersprache der nationalen Minderheit ausbildet, ein Fach, das an vielen Schulen der Region unterrichtet wird. Wir möchten es den Tagungsgästen ermöglichen, sich einen Einblick in diese interessante Sprachenlandschaft zu verschaffen, indem wir Besuche an Schulen und anderen Bildungsinstitutionen der Region während der Tagung organisieren, sowie Praktikerinnen und Praktiker einladen, die ihren Berufsalltag in der mehrsprachigen Umgebung gestalten.